Skip to content Skip to main navigation Skip to footer

Der 1. Mai-Feiertag in Lemgo oder die (versuchte) Erfindung einer Tradition vor 85 Jahren

Die Entstehungsgeschichte des Tages der Arbeit alljährlich am 1. Mai ist hinlänglich bekannt – erstmals unter den Nationalsozialisten 1933 zum nationalen Feiertag erklärt und während des Dritten Reiches als Propagandaveranstaltung der „Volksgemeinschaft“ (natürlich unter Ausschluss aller Gruppen, die nicht dazu zählten) missbraucht. Fortan wurde dieser Tag für die NS-„Gemeinschaftspflege“ vereinnahmt. Davon zeugen auch zahlreiche Fotoaufnahmen in den Beständen des Stadtarchivs Lemgo aus den 1930er Jahren, die die zum Teil sehr aufwendig gestalteten Umzüge der Betriebsgruppen mit Motivwagen, fahnengeschmückte Aufmärsche und das Begleitprogramm zeigen (siehe Fotos N 1/4193 und N 1/4198). Darunter befindet sich auch die Aufnahme des Marktplatzes vor dem Ballhaus (siehe Foto N 1/4176). Prominent darin in Szene gesetzt: ein Maibaum. An der höchsten Stelle das Hakenkreuz und etwas weiter darunter das Emblem der Deutschen Arbeitsfront (DAF), die maßgeblich bei Organisation und Vorbereitung beteiligt war. Wenn man allerdings genauer hinsieht, erkennt man Schilde mit Symbolen der verschiedenen Berufszweige. So ließe sich dieses Gebilde auch als sog. Zunftbaum deuten, der aus anderen Gegenden, aber auch aus Lippe durchaus noch bekannt ist und die Wappen der ehemaligen Zünfte vor Ort präsentierte.

Bemerkenswert ist, dass die Aufrichtung von Maibäumen, abgesehen von anderen Maibräuchen, bis dahin nicht zum hergebrachten lippischen Brauchtumsbestand zählte und im heutigen Kreisgebiet fast unbekannt war. Erst für 1936 lässt sich aus den Verwaltungsunterlagen die Errichtung des Maibaumes für Lemgo nachweisen, außerdem die Wahl einer Maikönigin und die Fertigung eines Festwagens für die Maikönigin. Man kann hier also durchaus von einer teilweise erfundenen Tradition durch die Nationalsozialisten sprechen. Darin kommt auch der Wille zu einer reichsweiten Vereinheitlichung der Traditionsbildung zum Ausdruck, der auf lokale und regionale Besonderheiten keine Rücksicht nahm. Natur- und Heimatverbundenheit im nationalen Sinne sollten dadurch gestärkt werden.

Die Aufnahme scheint ursprünglich aus dem Lemgoer Fotografenhaus Fritz Ohle in der Haferstraße zu stammen. Eine Datierung ist nicht vorhanden, aber das Banner über dem Eingang zum Ballhaus „…Dankopfer dem Führer“ nimmt sicherlich Bezug zur SA-Aktion „Dankopfer der Nation“, die am 20. April 1936 (am Geburtstag Adolf Hitlers) durch den SA-Stabschef Viktor Lutze ins Leben gerufen wurde und zu Geldspenden für den „Führer“ zur „Schaffung neuer großer Kulturwerte“ aufrief. Aktionszeitraum war zumeist zwischen Mitte April und Mitte Mai. Die Lemgoer haben daraus anscheinend direkt eine Spende für den „Führer“ gemacht…Die Aufnahme könnte also 1936 oder zumindest danach entstanden sein. Ob nachfolgend jedes Jahr ein solcher Mai- oder Zunftbaum aufgestellt wurde, ist nicht gesichert.

Am 1. Mai 1946 wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals wieder ein „Tag der Arbeit“ durch den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund in Lemgo organisiert, der sich aber (zumindest bis 1948) mit einem „marschierenden“ Festumzug durch die Stadt noch deutlich am Ablauf aus der Zeit vor 1945 orientierte. Ab 1948 fiel der Festumzug ersatzlos fort. Ein Maibaum wurde nach 1945 bei den Maifeierlichkeiten in Lemgo nicht mehr erwähnt; die Traditionserfindung hatte sich letztlich wohl doch nicht durchgesetzt…


Quelle: Stadtarchiv Lemgo

Zurück zum Anfang