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Stadtarchiv: Beitrag zum Internationalen Frauentag

Ein Beitrag aus dem Stadtarchiv zum Internationalen Frauentag am 8. März 2021:

Am 22. Dezember 1663 erschien der Leinenweber Friedrich Sievert vor Bürgermeister und Rat der Stadt Lemgo und beschwerte sich darüber, dass seiner Tochter Ilsabein die Aufnahme in die Lemgoer Zunft der Leinenweber verwehrt würde, obwohl sie das Handwerk bei ihrem Vater erlernt habe und es durchaus Brauch sei, dass auch Frauen „Zunftschwestern“ neben ihren „Zunftbrüdern“ werden konnten. Ein Diskriminierungsfall im frühneuzeitlichen Lemgo? Dies ist zumindest zu vermuten, auch wenn der genaue Grund, warum Ilsabein Sievert nicht in die Zunft aufgenommen werden sollte, im Vorgang nicht erwähnt wird, aber der weitere Zusammenhang des Falles deutet darauf hin.

Zünfte (in Lemgo zumeist Amt genannt) waren seit dem Mittelalter berufsständische Zusammenschlüsse von Handwerkern, deren Mitgliedschaft zwangsweise erworben werden musste, um ein Handwerksgewerbe in einer Stadt ausüben zu dürfen. Der Eintritt in die Zunft (in den Quellen wird dieser Vorgang als „innung“ bezeichnet) erfolgte durch Geldzahlungen. Abweichend von den anderen Zünften oder Gilden in Lemgo, nahm die Leineweberzunft auch berufstätige Frauen auf, die zu einem geringeren Betrag die „halbe Zunft innigen“ konnten. Dies geht bereits aus den ältesten Zunftstatuten hervor, die das Innen- und Außenverhältnis der Zunft regelten. Das Weben von Leinen war in Land und Stadt halt nicht nur Männersache und im Lemgoer Raum sehr verbreitet. Die Aufnahmeverweigerung gegenüber Ilsabein Sievert war also eigentlich ein klarer Rechtsverstoß. Ihr Vater suchte wohl auch deswegen Hilfe beim Lemgoer Rat und den beiden Bürgermeistern, die als städtische Obrigkeit auch die Aufsicht über die Zunftangelegenheiten ausübten. Sievert führte zur Begründung Fälle anderer Ehefrauen und Töchter an, bei denen eine Zunftaufnahme bereits erfolgt war. Letztlich folgten Rat und Bürgermeister der Auffassung Sieverts („nach eingenommenem Bericht undt Kundtschafft“) und wiesen die beiden amtierenden Zunftdechen (Vorsteher) Johannes Mackenberg und Hermann Orth an, Ilsabein Sievert und andere, die das Gleiche begehren, in die Zunft aufzunehmen und die Anderen nicht zu stören oder bei ihrer Arbeit zu behindern. Die damalige Stadt Lemgo setzte sich also für Gleichberechtigung ein, wobei die Einhaltung der hergebrachten Rechtsnorm für die Stadtspitzen vermutlich ausschlaggebender war. Inwieweit ein möglicher (zunftinterner) Konflikt zwischen den Dechen Mackenberg und Orth, die sich gegen Sieverts Tochter quer gestellt hatten, und Friedrich Sievert, der ebenfalls Deche wie seine Kontrahenten war, in die Angelegenheit hineinspielte, bleibt ungewiss. Aus anderen Quellen wissen wir aber, dass Mattenberg 1664 Vormund der Tochter aus der ersten Ehe des Hermann Orth war. Es bestanden also freundschaftlich-familiäre Beziehungen bei diesem Dechen-Duo. Bei der turnusmäßigen Wahl der Dechen der Leineweberzunft 1667 wurde dann Hermann Orth als Deche abgelehnt und an seiner statt Friedrich Sievert angenommen. Zog hier Friedrich Sievert – als später Racheakte für die Ungleichbehandlung seiner Tochter – im Hintergrund die Fäden? Wer weiß…Der Fall zeigt zumindest, dass es manchmal auch rechtlicher Instrumente und politischen Willens bedurfte, die Gleichbehandlung der Geschlechter durchzusetzen.

Den Text im Original-Wortlaut kann über die Internetseite des Stadtarchivs (http://www.stadtarchiv-lemgo.de) abgerufen werden.

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